Keine Fluggastentschädigung bei Verspätungen aufgrund aussergewöhnlicher Umstände

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Fluggästen steht gemäss der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 das Recht auf Ausgleichszahlung von Fluggesellschaften zu, wenn die gebuchten Flüge mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden am Zielort ankommen. In den Vorabentscheidungen Germanwings (Rs. C-501/17) und Moens/Ryanair (Rs. C-159/18) befasste sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage, ob Fremdkörper auf der Start- oder Landebahn, die eine solche Verspätung verursachen, als «aussergewöhnliche Umstände» zu qualifizieren sind. Eine derartige Einordnung könnte bei den Fluggesellschaften wiederum zur Haftungsbefreiung für die genannten Ausgleichszahlungen führen.

Aussergewöhnliche Umstände i.S.d. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung seien Vorkommnisse, die weder Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit noch von der Fluggesellschaft beherrschbar sind. Das Auftreten von unerwarteten Mängeln an Teilen eines Flugzeugs sei ein Vorkommnis, das untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden sei und grundsätzlich keine Qualifizierung als «aussergewöhnlichen Umstand» zulasse, denn die Fluggesellschaften unterlägen der Pflicht, regelmässig Kontrollen am Flugzeug durchzuführen. Werde eine Beschädigung jedoch ausschliesslich durch eine Kollision mit einem Fremdkörper verursacht, fehle es an dieser untrennbaren Verbindung und eine Qualifizierung als «aussergewöhnlichen Umstand» sei folglich möglich.

Der EuGH verwies diesbezüglich auf die Entscheide Pešková und Peška (Rs. C-315/15) und Siewert (Rs. C 394/14). Im ersten Entscheid wurde die Flugverspätung durch eine Kollision des Flugzeugs mit einem Vogel verursacht und als aussergewöhnlicher Umstand eingestuft. Anders wurde jedoch in der Sache Siewert entschieden: Die Kollision eines Flughafentreppenfahrzeugs mit einem Flugzeug stelle keinen «aussergewöhnlichen Umstand» dar, da ersteres für die Beförderung von Fluggästen notwendigerweise eingesetzt und üblicherweise in Zusammenarbeit mit der Flugzeugbesatzung in Stellung gebracht werde. Es handle sich dabei um eine normale Tätigkeit der Fluggesellschaft, die auch beherrschbar sei. Somit seien die Voraussetzungen nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung für die Annahme eines «aussergewöhnlichen Umstandes» nicht erfüllt.

In den vorliegenden Fällen Germanwings und Morens/Ryanair wurde die Beschädigung ausschliesslich durch einen Fremdkörper auf der Rollbahn verursacht. So wurde in Germanwings der Flugzeugreifen durch eine Schraube auf der Rollbahn beschädigt und in Morens/Rynanair gelangte Treibstoff auf die Rollbahn, welche daraufhin geschlossen werden musste. Der fragliche Treibstoff stammte jedoch nicht von einem Flugzeug der betreffenden Fluggesellschaft. Folglich seien die Umstände nicht untrennbar mit dem System zu Betrieb des Flugzeuges verbunden und gehören somit nicht zum Teil der normalen Tätigkeit der betreffenden Fluggesellschaft. In beiden Fällen sei der Umstand eines Fremdkörpers auf der Rollbahn auch nicht beherrschbar gewesen, zumal die Instandhaltung der Rollbahn nicht in den Zuständigkeitsbereich der Fluggesellschaften falle. Vor diesem Hintergrund seien die Umstände beider Fälle als aussergewöhnlich einzustufen.

Liege ein aussergewöhnlicher Umstand vor, müsse die Fluggesellschaft ferner den Nachweis i.S.d. Art. 7 (i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c) der Verordnung erbringen, dass sie die Verspätung nicht vorbeugen konnte und im Zeitpunkt der durch den Umstand verursachten Situation alle ihr verfügbaren und zumutbaren personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt habe, um eine grosse Verspätung zu vermeiden. In der Sache Germanwings habe die Fluggesellschaft die Verspätung aufgrund der Reifenpanne nicht vorbeugen können, seien die Flugzeugreifen doch regelmässig gewartet und ausgetauscht worden. In der Sache Morens/Ryanair sei gemäss EuGH zu berücksichtigen, dass es die Entscheidung der Flughafenbehörde gewesen war, die Rollbahn des Flughafens aufgrund des Treibstoffauslaufs zu schliessen. Die Fluggesellschaft habe dieser Folge leisten müssen und damit keine möglichen zumutbaren Massnahmen ergreifen können, um den aussergewöhnlichen Umstand zu vermeiden. Ob der Nachweis, dass alle zumutbaren Massnahmen ergriffen wurden, genügend erbracht worden sei, habe das vorlegende Gericht zu prüfen.

Fazit

Der EuGH verweigerte in Germanwings und Morens/Ryanair eine Fluggastentschädigung, weil die jeweiligen Fremdkörper auf der Start- oder Landebahn als Ursache der Flugverspätungen ausserhalb der Kontrollsphäre der Fluggesellschaften stünden. Trotzdem müssten Fluggesellschaften bei Vorliegen eines solchen «aussergewöhnlichen Umstands» alle zumutbaren Massnahmen ergreifen, um grosse Verspätungen abzuwehren.

Autorin: Nona Michel
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.