Behördliche Unterlassungsklagen als «Zivil- und Handelssachen»?

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Belgische Behörden klagten gegen drei Gesellschaften niederländischen Rechts, welche Websites betrieben haben, auf denen Veranstaltungstickets zu einem dem ursprünglichen höheren Preis weiterverkauft wurden. Damit verstiessen sie gegen belgisches Lauterkeitsrecht.

Das zweitinstanzliche Gericht ersuchte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Vorabentscheidung (laufende Rs. C-73/19), die klären soll, ob die Klage der belgischen Behörden wegen unlauterer Markt- und/oder Geschäftspraktiken eine «Ausübung hoheitlicher Rechte» darstelle und somit nicht mehr unter den Begriff der «Zivil- und Handelssache» i.S.d. EuGVVO falle.

Es handelt sich hierbei um eine berechtigte Frage, weil der EuGH wiederholt entschieden hat, dass bestimmte Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Behörde und einer Privatperson zwar in den Anwendungsbereich der EuGVVO fallen könnten, es sich hingegen anders verhält, wenn die Behörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse tätig wird.

Generalanwalt Szpunar hat in seinen Schlussanträgen vom 23. April 2020 folgende Punkte erörtert, welche als ein Handeln in Ausübung hoheitlicher Rechte qualifiziert werden könnten und somit der Anwendung der EuGVVO entgegenstünden: Erstens müssten die belgischen Behörden im Gegensatz zu Privatpersonen kein eigenes Interesse am Rechtsstreit nachweisen. Zweitens stünden den Behörden Untersuchungsbefugnisse zur Verfügung, welche Privaten verwehrt seien und drittens verfügten die Behörden auch im Vollstreckungsverfahren über solche Befugnisse.

Zum ersten Punkt sei zunächst festzuhalten, dass die belgischen Behörden mit der Klage im Allgemeininteresse handelten, um Verbraucher und andere Unternehmer vor unrechtmässigen Geschäftspraktiken zu schützen. In der Sache Pula Parking über die Erhebung einer Parkgebühr durch eine staatliche Gesellschaft sei deutlich geworden, dass ein Handeln in einem allgemeinen, öffentlichen Interesse nicht automatisch zu einer Ausübung hoheitlicher Befugnisse führe. Gleiches gelte, wenn eine Behörde von Befugnissen Gebrauch mache, die unmittelbar durch den Gesetzgeber übertragen worden seien (Fahnenbrock u.a.). Entscheidend sei die Situation, in der sich der Staat gegenüber Privaten aufgrund der Ausübung seiner Befugnisse befunden habe (Kuhn). Die rechtliche Stellung einer Behörde als Klägerin gegen unlautere Geschäftspraktiken sei mit derjenigen einer Verbraucherschutzvereinigung vergleichbar. Zumal letztere bei einer Klage im kollektiven Verbraucherinteresse vom Nachweis des eigenen Interesses befreit sei, stelle somit auch die entsprechende Befreiung zugunsten der Behörden keine besondere Situation dar.

Zum zweiten Punkt der behördlichen Untersuchungsbefugnisse brachten die beklagten Unternehmer vor, dass die belgischen Behörden ihre eigenen Feststellungen und Erklärungen als rechtliche Beweise verwendet und somit hoheitliche Rechte ausgeübt hätten. Konkret legten die Behörden Beschwerden von Verbrauchern vor, die sie über ihre eigene E-Mail und Website in ihrer Eigenschaft als Behörde erhielten. Generalanwalt Szpunar befand jedoch, dass aus den Erwägungen in Sunico u.a. nicht folge, dass die Verwendung hoheitlich erlangter Beweise für den Ausschluss der EuGVVO nicht ausreiche. Die Behörde müsste sich dafür nämlich – gerade aufgrund der Verwendung dieser Beweise – nicht mehr in der gleichen Situation wie eine Privatperson in einem entsprechenden Rechtsstreit befinden. Da Private ebenfalls behördlich gesammelte Beweise für eine Klage verwenden (bspw. polizeiliche Dokumente im Rahmen eines Verkehrsunfalls) und besagte Verbraucherschutzvereinigungen als privatrechtliche Einrichtungen selbst Verbraucherbeschwerden sammeln könnten, rechtfertigten die vorliegenden Untersuchungsbefugnisse keine Qualifikation als Ausübung hoheitlicher Rechte.

Zum dritten Punkt der Befugnisse im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens sei einerseits der Antrag zur Verhängung eines Zwangsgeldes bei künftigem Verstoss gegen das gerichtlich ausgesprochene Verbot zu untersuchen. Andererseits sei der Antrag zur selbständigen behördlichen Feststellung eines solchen Verstosses in Frage zu stellen: Ersteres sei keine Ausübung hoheitlicher Befugnisse, da der Antrag auf Verhängung von Zwangsgeld nach belgischem Recht auch Privatpersonen offen stehe. Zudem sei das Zwangsgeld nicht nach seiner eigenen Rechtsnatur, sondern nach derjenigen, der durch das Zwangsgeld gesicherten Ansprüche zu beurteilen (Realchemie Nederland; Bohez). Im vorliegenden Fall soll das Zwangsgeld zur Unterlassung von unlauteren Markt- und/oder Geschäftspraktiken beitragen, womit der Anwendungsbereich der EuGVVO grundsätzlich eröffnet sei. Allerdings sei in Zusammenhang mit diesem dritten Antrag problematisch, dass die protokollarische Feststellung von mit Zwangsgeld geahndeten Verstössen durch die klagende Behörde erfolge. Damit würden die Tätigkeiten der Beklagten der Kontrolle der Klägerin unterstellt werden und das Protokoll würde nach belgischem Recht über eine erhöhte Beweiskraft verfügen. Dies weiche von den zwischen Privatpersonen geltenden Rechtsvorschriften ab und es würden somit hoheitliche Rechte ausgeübt.

Somit sei einzig der Antrag zur selbständigen behördlichen Feststellung von künftigen Verstössen nicht unter den Begriff der Zivil- und Handelssache zu fassen. Die übrigen Anträge fielen jedoch in den Anwendungsbereich der EuGVVO, weil sie nicht von zwischen Privatpersonen geltendem Recht abwichen.

Fazit

Die Stellungnahme des Generalanwalts vermag nicht zuletzt aufgrund der Verweise auf mehrere vorangegangene Urteile des EuGH zu überzeugen.  Der Vorabentscheid des EuGH bleibt dennoch abzuwarten.

Für die Schweiz wird er insofern von Interesse sein, als die bisherige EuGH-Rechtsprechung zur Ausübung von hoheitlichen Rechten vom schweizerischen Bundesgericht  – im Hinblick auf die Parallelen zwischen der EuGVVO und des LugÜ – grundsätzlich übernommen werden: Massgebend für die Beurteilung sei demnach primär das zwischen zwei Personen bestehende Rechtsverhältnis und nicht die Rechtsnatur der am Rechtsverhältnis beteiligten Personen. Anders als in den generalanwaltlichen Schlussanträgen wurde aber vom BGer offen gelassen, ob die Vollstreckung des Zwangsgeldes als Zivil- und Handelssache i. S. v. Art. 1 LugÜ zu qualifizieren sei (BGer 4A_75/2014).

Autorin: Nona Michel
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.