In seinem Urteil vom 24. November 2020, Wikingerhof GmbH & Co. KG/Booking.com BV, Rs. C-59/19, beantwortete der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Vorlagefrage des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH). Konkret wollte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Nr. 2 der Verordnung 1215/2012 (hiernach EuGVVO) dahingehend auszulegen sei, dass er bei einer Klage zur Anwendung gelange, die auf die Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagen gerichtet sei und die darauf gestützt werde, dass der Beklagte unter Verstoss gegen das Wettbewerbsrecht seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze.
Ausgangspunkt der Streitigkeit bilden bestimmte Verhaltensweisen der Beklagten, Booking.com BV, einer Gesellschaft nach niederländischem Recht und mit Sitz in den Niederlanden, welche eine Buchungsplattform für Unterkünfte betreibt. Diese hatte im Nachgang zum Vertragsschluss mit der Klägerin, Wikingerhof GmbH & Co. KG, einer Hotelbetreiberin im Land Schleswig-Holstein, ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen – welche ebenfalls Bestandteil des Vertrags bilden – geändert: Neu wurde namentlich die Platzierung des Hotels in der Suchmaschine an die Zahlung einer Provision geknüpft. Die Klägerin sieht darin verletzende Praktiken und somit eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht, weswegen sie eine Unterlassungsklage erhob. Die Beklagte wandte die internationale sowie örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts (LG Kiel) ein, weil für Streitigkeiten aus dem besagten Vertragsverhältnis eine Gerichtsstandsvereinbarung und damit eine ausschliessliche Zuständigkeit der Gerichte in Amsterdam (Niederlande) bestehe. Die Berufungsinstanz (OLG Schleswig) bestätigte die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts aufgrund von Art. 7 Nr. 1 (Gerichtsstand des Erfüllungsortes) sowie Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (Gerichtsstand des schädigenden Ereignisses).
Der EuGH hatte sich mit Blick auf die Vorlagefrage des in der Folge angerufenen BGH insbesondere mit der Abgrenzung zwischen den eng auszulegenden und sich gegenseitig ausschliessenden besonderen Gerichtsständen für vertragliche Ansprüche nach Art. 7 Nr. 1 sowie deliktischen Ansprüchen nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO auseinanderzusetzen. Diese Unterscheidung gibt nämlich Aufschluss darüber, ob das im Ausgangsverfahren angerufene Gericht in der Sache zuständig ist. M.a.W.: Eine Zuständigkeit wäre gerade nicht gegeben, sofern die Klage in einer vertraglichen Streitigkeit gründete.
Nach dem EuGH ist die Wendung «unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung» i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dahingehend zu verstehen, als dass damit die Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht werden soll und nicht ein «Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag» i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO Gegenstand ist. Demzufolge hat eine Klage einen Anspruch i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zum Gegenstand, sofern es nicht unerlässlich erscheine, den Inhalt des mit dem Beklagten geschlossenen Vertrags zu prüfen, um zu beurteilen, ob das diesem vorgeworfene Verhalten rechtmässig oder rechtswidrig sei, da diese Verpflichtung des Beklagten unabhängig von diesem Vertrag bestehe. Demgegenüber bilde ein «Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag» i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO Gegenstand einer Klage, sofern eine Auslegung des Vertrags zwischen dem Kläger und dem Beklagten unerlässlich ist, um zu klären, ob das Verhalten, das der Kläger dem Beklagten vorwirft, rechtmässig oder widerrechtlich sei.
Im vorliegenden Fall gründet die Rechtsfrage darin, dass Booking.com BV eine beherrschende Stellung i.S.d. anwendbaren Wettbewerbsrechts innehabe bzw. diese missbrauche, mithin gegen deutsches Wettbewerbsrecht verstosse. Es erscheint daher nicht unerlässlich, den Vertrag zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens auszulegen, weil die Feststellung eines Verstosses gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung einer unerlaubten Handlung vergleichbar ist und deren Vorliegen auch ohne Rückgriff auf den Vertragsinhalt möglich ist.
Fazit
Das Bestehen eines vertraglichen Verhältnisses zwischen zwei Parteien hindert die Möglichkeit eines deliktischen Gerichtsstands nicht. Vielmehr verortet der EuGH – wie bereits in den Entscheidungen flyLAL-Lithuanian Airlines und Cartel Damage Claims – das Vorliegen eines Kartells beim ausservertraglichen Gerichtsstand. Insofern hatten die deutschen Gerichte im Ausgangsverfahren zu Unrecht ihre Zuständigkeit abgelehnt. Die Entscheidung führt zur Stärkung des Prinzips, wonach in internationalen Kartellfällen stets die gerichtsstandsmässige Nähe zum betroffenen Markt erstrebenswert ist.
Autorin: Julia Wismer
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.