In einem vom Landesgericht Salzburg eingereichten Vorabentscheidungsersuchen (Rs. C-613/20) befasste sich der EuGH mit der Frage, ob ein Streik seitens des Bordpersonals als «aussergewöhnlicher Umstand» zu qualifizieren ist und infolgedessen zu einem Haftungsausschluss der beklagten Fluggesellschaft führt.
Hintergrund des Verfahrens ist ein Rechtsstreit zwischen einem Verbraucher und der Eurowings GmbH aufgrund deren Weigerung, den Fluggast für die Annullierung des von ihm gebuchten Flugs zu entschädigen. Entgegen der Ansicht der ausführenden Fluggesellschaft stellte sich der Fluggast auf den Standpunkt, dass der Streik des Kabinenpersonals, der zur Annullierung seines Flugs geführt habe, keinen «aussergewöhnlichen Umstand» i.S.v. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 darstelle, sondern von Eurowings zu verantworten sei und forderte die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a vorgesehene Ausgleichszahlung.
Die konkrete Vorlagefrage bezog sich darauf, ob Streikmassnahmen zur Durchsetzung von Gehaltsforderungen oder Sozialleistungen der Beschäftigten, die aufgrund von Solidarität zu den Beschäftigten der Muttergesellschaft auf Seiten der Beschäftigten einer Tochtergesellschaft über die ursprünglich angekündigte Dauer hinaus geführt wurden, unter den Begriff der «aussergewöhnlichen Umstände» fallen.
Gemäss Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 der Verordnung haben Fluggäste für die Annullierung von Flügen einen Anspruch auf Entschädigung. Ein solcher entfällt jedoch, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachzuweisen vermag, dass die Annullierung auf «aussergewöhnliche Umstände» zurückgeht, die sich auch beim Ergreifen aller zumutbarer Massnahmen nicht hätten vermeiden lassen.
Von «aussergewöhnlichen Umständen» i.S.d. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung kann ausgegangen werden bei Vorkommnissen, die weder ihrer Natur oder Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens noch von diesem tatsächlich beherrschbar sind. Ein Streik mit dem auf die Durchsetzung einer Gehaltserhöhung oder von Sozialleistungen für das Kabinenpersonal gerichteten Ziel könne als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens qualifiziert werden. Dies gelte auch für einen Streik, der von der Belegschaft eines ausführenden Luftfahrtunternehmens aus Solidarität mit einem anderen Streik der Belegschaft der Muttergesellschaft geführt wird. Der EuGH verweist in diesem Zusammenhang auf den Entscheid Danske Slagterier. In diesem hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass ein nach nationalem Recht rechtmässig angekündigter Streik, der sich in der Folge auch auf zunächst nicht vom Streik betroffene Unternehmensbereiche erstreckt, kein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis darstelle.
Der EuGH führte aus, dass sich das ausführende Luftfahrtunternehmen, dessen Beschäftigte zur Durchsetzung von Gehaltsforderungen oder Sozialleistungen streiken, nicht auf den Standpunkt stellen könne, keinerlei Einfluss auf diese Massnahmen zu haben, zumal die betreffenden Forderungen im Rahmen des konzerninternen sozialen Dialogs verhandelt werden könnten. Schliesslich habe der Unionsgesetzgeber mit «aussergewöhnlichen Umständen» vielmehr ausserhalb der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens liegende Streiks wie solche der Fluglotsen oder des Flughafenpersonals intendiert.
Zuletzt äusserte sich der Gerichtshof dahingehend, als dass auch in einer Überschreitung der angekündigten Dauer des Streiks kein aussergewöhnlicher Umstand gesehen werde. Dies gelte selbst dann, wenn in der Zwischenzeit mit der Muttergesellschaft eine Einigung erzielt wurde und der Grund für den Streik weggefallen sei.
Fazit
Mit seiner aktuellen Entscheidung stärkt der EuGH die Fluggastrechte erneut und spricht Passagieren auch dann einen Entschädigungsanspruch zu, wenn das Bordpersonal streikt. Entgegen der Ansicht der Fluglinie Eurowings qualifizierte es einen Streik nicht als «aussergewöhnlichen Umstand» im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der besagten Verordnung. Einen solchen «aussergewöhnlichen Umstand» bejahte der EuGH in den Rs. C-501/17 und Rs. C-159/18 bei sich auf der Start- oder Landebahn befindenden Fremdkörpern als Ursache für Flugverspätungen (Siehe dazu den Beitrag Keine Fluggastentschädigung bei Verspätungen aufgrund aussergewöhnlicher Umstände). Dabei handelte es sich – im Unterschied zum vorliegenden Sachverhalt – um gänzlich ausserhalb der Kontrollsphäre der Fluggesellschaft liegende Umstände.
Autorin: Sarah Meyer
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.