Internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens

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Derzeit befasst sich der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C-253/19 mit der Frage, welches Gericht für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen natürliche Personen, die keine selbstständige Tätigkeit ausüben, international zuständig ist. Am 30. April 2020 legte der in der Sache zuständige Generalanwalt Szpunar dem EuGH seine Schlussanträge vor.

Konkret handelt es sich im vorliegenden Fall um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen zwei seit dem 2016 in Norfolk, Vereinigtes Königreich, wohnende und dort als Arbeitnehmer angestellte Eheleute, deren einzige Immobilie in Portugal liegt.

Für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit von Insolvenzverfahren ist die Ermittlung des Ortes, an dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, massgeblich. Vorliegend beantragten die Eheleute beim portugiesischen Gericht, sie für insolvent zu erklären, da sich dort ihre einzige Immobilie befindet. Das erstinstanzliche Gericht erklärte sich jedoch für international unzuständig, weil sich der gewöhnliche Aufenthaltsort der Eheleute im Vereinigten Königreich befindet. Gegen diesen Entscheid erhob das Ehepaar beim Gericht Beschwerde wegen unzutreffender Auslegung der einschlägigen Bestimmung. Letzteres wandte sich schliesslich mittels Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Es möchte wissen, ob das Gericht eines Mitgliedsstaats für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eines Bürgers (Schuldner), dessen einzige Immobilie sich dort befindet, zuständig sein kann, wenngleich er dort nicht wohnt und keine selbständige Tätigkeit ausübt.

Im Unionsrecht wird die internationale Zuständigkeit zur Einleitung von Insolvenzverfahren durch die Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren (kurz: EuInsVO) geregelt. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO knüpft an den Ort des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners an, um das zuständige Gericht zu bestimmen. Dieser Ort ist gemäss der Vermutung von Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 4 EuInsVO bei natürlichen Personen, die keine selbständige Tätigkeit ausüben, der gewöhnliche Aufenthaltsort. Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen diese Vermutung widerlegt werden kann.

Nach Auffassung des Generalanwalts ist die Vermutung widerlegt, sofern der gewöhnliche Aufenthaltsort nicht dem Ort entspricht, an dem die wirtschaftlichen Entscheidungen eines Schuldners getroffen werden, d.h. dem Ort, an dem seine Einkünfte überwiegend erzielt und ausgegeben werden, oder dem Ort, an dem sich der Grossteil seines Vermögens befindet. Laut Generalanwalt ist die Belegenheit des Schuldnervermögens nur einer der Aspekte, die bei der Prüfung der Widerlegung der Vermutung zu berücksichtigen sind. Die Gerichte eines Mitgliedstaats sind daher für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unzuständig, wenn die Zuständigkeit nur auf dem Belegenheitsort der einzigen Immobilie des Schuldners stützt. Die Begründung der internationalen Zuständigkeit nur aufgrund eines einzigen Vermögensgegenstands zuzulassen, würde gemäss Generalanwalt ausserdem dem Zweck der Verordnung – namentlich das forum shopping zu verhindern – widersprechen.

Fazit

Der Generalanwalt hält zusammenfassend fest, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sich die einzige Immobilie des Schuldners befindet, nur dann für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig ist, wenn auch andere Anhaltspunkte vorliegen, die dafür sprechen, dass der Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in diesem Mitgliedstaat liegt. Dieser Umstand kann anhand objektiver, für Dritte – namentlich gegenwärtige und potenzielle Gläubiger – feststellbarer Elemente belegt werden, die mit den wirtschaftlichen Interessen dieses Schuldners zusammenhängen.

Autorin: Elisa Castelnuovo 
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.