Der Europäische Gerichtshof (EuGH) unterstellt in einem für die Industrie folgenschweren Entscheid Verfahren, bei denen Pflanzen-DNAs mittels einer «Gen-Schere» editiert werden, der gleichen Regulierung wie klassische Gentech-Verfahren. Damit überraschte der EuGH die interessierte Öffentlichkeit, da zwischen den beiden Verfahren beträchtliche Unterschiede bestehen.
Konkret musste sich das Gericht im Vorabentscheidungsverfahren mit der Frage befassen, ob eine durch gezielte Mutagenese gewonnene herbizidtolerante Rapssorte unter die Richtlinie über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (RL 2001/18/EG) fällt. Prima facie scheint diese Frage einfach zu beantworten: Verfahren der Mutagenese – wozu auch das Vorgehen mit CRISPR/Cas zählt – sind von der genannten Richtlinie ausdrücklich ausgenommen und bedürfen deshalb in der EU keines speziellen Zulassungsverfahrens (Art. 3 Abs. 1).
Bei genauerem Hinsehen stellt sich die Rechtslage allerdings als deutlich komplexer heraus: Der EuGH legt in Anwendung des Vorsorgeprinzips (Art. 1) die vorhin erwähnte Ausnahmebestimmung nämlich dahingehend aus, dass bloss Verfahren der Mutagenese, die «seit langem angewendet werden» und deshalb jedenfalls scheinbar «als sicher gelten» von der Richtlinie ausgenommen sind. Bei klassischen Mutagenese-Verfahren, die dementsprechend nach Auffassung des EuGH als sicher gelten, handelt es sich um solche, bei denen die Pflanzen-DNA durch radioaktive Bestrahlung oder mittels Einsatz von Chemikalien verändert wird. Auf diese Weise herbeigeführte Genmutationen hält der EuGH für unbedenklich.
Anders ordnet der Gerichtshof jedoch die CRISPR/Cas-Methode ein. Diese soll nämlich, obwohl es sich bei ihr ebenfalls um ein Mutagenese-Verfahren handelt, unter die Richtlinie fallen. Die Entscheidung erstaunt, unterscheiden sich doch klassische Mutagenese-Verfahren vom CRISPR/Cas-Vorgehen einzig darin, dass CRISPR/Cas eine höhere Präzision zulässt. Mittels des CRISP/Cas-Verfahrens wird im Genom einer Pflanze durch Einsatz von «Cas9» gezielt ein Gen ausgeschaltet; anstelle radioaktiver Bestrahlung kommt ein Protein zum Einsatz. Im Ergebnis unterscheidet sich die so editierte DNA der Pflanze in keiner Weise vom Resultat üblicher Mutagenese-Verfahren. Ferner sind solche Veränderungen durchaus mit spontan in der Natur auftretenden vergleichbar. Trotz der grossen Ähnlichkeit der Prozesse könnten aber die Regulierungen unterschiedlicher nicht sein: Während für klassische Mutagenese-Verfahren keinerlei Regeln in der EU beachtet werden müssen, muss die gezielte Mutagenese mittels CRISPR/Cas zwingend ein aufwendiges Zulassungsverfahren durchlaufen.
Fazit
Die Entscheidung des EuGH wird erhebliche Auswirkungen auf die technische Entwicklung im CRISPR/Cas-Bereich haben. So ist damit zu rechnen, dass kleinere Marktteilnehmer sich die enormen Kosten für das Bewilligungsverfahren in der EU nicht werden leisten können. Dadurch wird die Union wohl Innovationskraft und Forschungskapital zugunsten liberaleren Rechtsordnungen wie etwa derjenigen der USA verlieren, wo die CRISPR/Cas-Methode nicht reguliert ist. Mit gentechnisch verändertem Saatgut sind schliesslich hohe Erwartungen im Kampf um die Reduktion von Pestiziden in der Landwirtschaft verbunden. Das Urteil hat nun diese Hoffnungen quasi im «Saat-Keim» erstickt.
Für die Schweiz ist das Brüsseler Verdikt vor allem ein politisches Signal, denn hierzulande besteht seit 2005 ein Gentech-Moratorium (s. Art. 37a GTG). Der Entscheid, ob das CRISPR/Cas-Verfahren darunterfallen soll und damit auch in der Schweiz eine Chance verpasst werden könnte, steht noch aus.
Autorin: Anna Züst
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.