Der EuGH hat sich in seinem Urteil C-570/21 mit der Abgrenzung des Verbraucherbegriffs gem. Art. 2 Bst. b RL 93/13/EWG (heute auch in Art. 2 Nr. 1 RL 2011/83/EU; Art. 4 Nr. 1 Bst. a RL 2013/11/EU) auseinandergesetzt. Konkret ging es dabei um einen «gemischten» Vertrag. Fraglich war, ob eine Person auch dann noch als Verbraucher subsumiert werden kann, wenn sie sowohl berufliche, wie auch private Zwecke im Zusammenhang mit der Verwendung eines Vertrages verfolgt.
Im vorliegenden Fall ging es um einen Hypothekenkreditvertrag zwischen einem Ehepaar und einer Bank. Das Ehepaar war der Auffassung, dass der Vertrag Klauseln enthielt, welche den Verbraucherschutz verletzten. Hingegen vertrat die Bank die Ansicht, dass das Ehepaar keine Konsumenten i.S.v Art. 2 Bst. b RL 93/13/EWG seien und daher keinen Konsumentenschutz geniessen. Die Bank stützte sich dabei darauf, dass ein Teil des Kredits zur Schuldentilgung des Unternehmens einer der Ehegatten beansprucht wurde, nämlich circa 35% des Kredits. Zudem gab der Ehegatte an, dass die Tilgung der Unternehmensschuld für ihn conditio sine qua non für den Vertragsschluss bildete.
Nach dem EuGH geht aus den Erwägungsgründen der Richtlinie hervor, dass diese auf alle Verträge angewandt werden will, die zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern geschlossen werden und missbräuchliche Klauseln enthalten. Die Verbrauchereigenschaft wird dabei anhand der Funktion des Vertrages bestimmt und liegt sie vor, wenn mit dem Vertrag keine beruflichen Zwecke verfolgt werden.
Um dem typischerweise im B2C-Kontext vorhandenen Machtgefälle entgegenzuwirken, erklärt Art. 6 I RL 93/13/EWG alle missbräuchlichen Vertragsklauseln für unverbindlich. Der EuGH ist der Meinung, dass dieser Schutzgedanke in der Praxis nur dann erfüllt ist, wenn der Verbraucherbegriff weit ausgelegt wird, damit sich alle natürlichen Personen in einer benachteiligten Position darauf berufen können.
Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass eine Person, die berufliche oder gewerbliche Tätigkeiten bei der Verwendung eines Vertrages ausübt, trotzdem noch als Verbraucher qualifiziert werden kann, solange diese Tätigkeiten nicht überwiegen. Dies wird besonders durch die systematische Auslegung der Verordnung hervorgehoben, da andere Verbraucherschutzrichtlinien (vgl. RL 2011/83; RL 2013/11; VO (EU) Nr. 524/2013) ebenfalls von einer weiten Auslegung des Verbraucherbegriffs ausgehen.
Dieser Schluss mag überraschen, da der EuGH in seiner vorherigen Rechtsprechung zum Verbraucherbegriff in Zuständigkeitssachen i.S.d. EuGVVO verlangte, dass die gewerbliche Tätigkeit so geringfügig sein, dass ihr nur eine untergeordnete Rolle zukommt. Nach dem EuGH wird der Verbraucherbegriff in der EuGVVO eng ausgelegt, weil es sich dabei um eine besondere Vorschrift handelt, die vom Grundsatz der Gerichtszuständigkeit am Beklagtenwohnsitz abweicht.
Dies ist bei der Auslegung von RL 93/13/EWG jedoch nicht so. Ratio legis ist dort generell der Schutz der schwächeren Partei. Deswegen wird vom EuGH hier nicht eine nur untergeordnete Rolle verlangt, sondern der Verbrauchereigenschaft schadet es so lange nicht, als der gewerbliche Zweckverfolgungsanteil jedenfalls nicht überwiegt.
Bei allem sei auf den Gesamtzusammenhang abzustellen. Miteinbezogen sollen alle einschlägigen quantitativen und qualitativen Umstände werden, welche beachtet werden müssen, um die Zwecksetzung des Vertrages näher beurteilen zu können.
Fazit
Die gemischten (Verbraucher-)Verträge sind in der Literatur ein umstrittenes Thema. Die Abgrenzung dieses Vertrages gegenüber Nicht-Verbraucherverträgen, so schwierig sie auch zu treffen ist, hat weitrechende Folgen. Schliesslich gewährt der Konsumentenschutz dem Verbraucher weitgehende Rechte.
Interessanterweise argumentiert der EuGH die breite Auslegung des Verbraucherbegriffs damit, dass bei systematischer Auslegung andere Richtlinien denselben Begriff verwenden. Zu kurz kommt dabei, dass bei Verabschiedung der RL 2011/83/EU der damalige Antrag 59 abgelehnt wurde, der darauf abzielte, Art. 2 Nr. 1 dahingehend zu ändern, dass darin explizit vom «wesentlich» privaten Zweck gesprochen wird. Der Richtliningeber hat von der Verankerung der Schwerpunkttheorie im Richtlinientext folglich abgesehen. Stattdessen hat er das Problem in Erwägungsgrund Nr. 17 verschoben. Inwiefern ein Erwägungsgrund dafür ein sachgerechtes Mittel darstellt, mag bezweifelt werden.
Insgesamt verfestigt das vorliegende Urteil eine Ungleichbehandlung des Verbraucherbegriffs im unionalen Zivilprozessrecht gegenüber dem unionalen, materiellen Verbraucherschutzrecht. Diese Entwicklung ist problematisch und im Ergebnis nicht sinnvoll, wie namentlich Loacker schon in JZ H. 5 (2013), S. 234-242 aufgezeigt hat. Hinzu kommt, dass die nun für das materielle Recht gefallene Entscheidung pro Schwerpunkttheorie gegenüber dem Vernachlässigbarkeitstest des unionalen IZPR deutliche Nachteile aufweist. Auch das hat Loacker im genannten Beitrag schon früh dargelegt.
Autorin: Nina Bleiker
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.