Zulassungsverweigerung als Anwalt in der EU?

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Der EuGH befasste sich in der Entscheidung C-431/17 vom 7. Mai 2019 auf griechische Vorlage hin mit der Auslegung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 98/5/EG. Das Ersuchen des griechischen Staatsrates erging in Zusammenhang mit einer Rechtsstreitigkeit zwischen Bruder Irenos und der Rechtsanwaltskammer Athen (DSA). Ersterer ist in Griechenland als Mönch tätig und hatte in Zypern das Anwaltspatent erworben. DSA weigerte sich, dem Antrag des Mönchs auf Eintragung als Anwalt in das besondere Verzeichnis in Athen stattzugeben. Im Ausgangsstreit hatte DSA die Eintragung mit der Begründung verweigert, die im griechischen Recht vorgesehene Unvereinbarkeit der Eigenschaft als Mönch mit der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs finde auch auf Rechtsanwälte Anwendung, die in Griechenland unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung ihr Geschäft betreiben wollen. Bruder Irenos machte hingegen geltend, das griechische Recht sei mit den unionalen Vorgaben der Richtlinie 98/5/EG unvereinbar, da es eine in den europäischen Vorschriften nicht statuierte, zusätzliche Eintragungsvoraussetzung vorsehe. Die vollkommene Harmonisierung der Richtlinie räume den Mitgliedstaaten bei deren Umsetzung in das nationale Recht ein solches Ermessen nicht ein.

Der EuGH machte zunächst darauf aufmerksam, dass die Richtlinie eine Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Berufsqualifikation erworben wurde, anstrebe. Die Absicht des Unionsgesetzgebers habe darin bestanden, die Abweichungen der nationalen Vorschriften über die Voraussetzungen der Eintragung bei den zuständigen Stellen zu beseitigen, damit die für den europäischen Binnenmarkt unentbehrliche Freizügigkeit gewährleistet werden könne.

Der Gerichtshof habe zudem bereits in den verbundenen Rechtssachen C-58/13 und C-59/13 klargestellt, dass die Vorlage einer Bescheinigung über die rechtmässige Eintragung im Herkunftsstaats gegenüber der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats die einzige Voraussetzung für eine Eintragung im Aufnahmestaat darstelle, um dort als Rechtsanwalt auftreten zu können. Dieser Haltung widerspreche denn auch nicht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, der statuiert, dass ein Rechtsanwalt neben den in seinem Herkunftsstaat geltenden Berufs- und Standesregeln hinsichtlich seines vollumfänglichen Geschäfts, das er im Aufnahmestaat betreibt, denselben Berufs- und Standesregeln unterliegt wie inländische Rechtsanwälte. Der EuGH weist auf die ausschlaggebende Unterscheidung zwischen der für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs erforderlichen Eintragung im Register des Aufnahmestaates und der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in diesem Mitgliedstaat hin. Für letztere unterstehe die betreffende Person gemäss Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie den in diesem Mitgliedstaat einschlägigen Berufs- und Standesregeln, die nicht Gegenstand einer europäischen Harmonisierung seien und insofern erheblich von denjenigen im Herkunftsstaat abweichen können. Gleich verhalte es sich bezüglich des Erlasses allfälliger Sanktionen bei Nichtbeachtung der Berufsregeln, der ebenfalls allein den Mitgliedstaaten zustehe. Dazu gehöre auch eine mögliche Streichung aus dem betreffenden Verzeichnis. Der Gerichtshof erachtete gestützt auf diese Überlegungen die nationale Vorschrift als unionsrechtswidrig.

Fazit

Das Verdikt des Gerichtshofs ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die grosse Kammer hält fest, dass es den Mitgliedstaaten unbenommen bleibt, nationale Berufs- und Standesregeln sowie Sanktionen für deren Nichtbeachtung zu erlassen. Bei ihrer Festsetzung ist jedoch stets der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren. Zu unterlassen ist demgemäss die Statuierung von Regelungen, welche über das für die Erreichung des Ziels Erforderliche hinausgehen. Die Freiheit der Mitgliedstaaten zum Erlass nationaler Berufsregeln endet folglich dort, wo ein nationaler Berufskodex eine Bestimmung enthält, die eine Unvereinbarkeit formuliert, deren Verstoss die Zulassung zum Beruf ipso iure erlöschen lässt und die sofortige Streichung aus dem betreffenden Register anordnet, so dass sie im Endeffekt zu einer gesonderten Eintragungsvoraussetzung für die jeweilige Berufsgattung mutiert. Die Grenzziehung zwischen einer unzulässigen nationalen Eintragungsvoraussetzung und einer nationalen Sanktion, welche das Verbot der Berufsausübung zu Folge hat, dürfte keine leichte sein.

Die europäische Harmonisierung hat ferner – wenn auch nicht vollumfänglich – im schweizerischen Anwaltsrecht aufgrund des FZA Niederschlag gefunden. So können sich Angehörige von Mitgliedstaaten der EU oder der EFTA nach Art. 30 BGFA in ein kantonales Anwaltsregister eintragen lassen, ohne die Voraussetzungen nach Art. 7 lit. b BGF erfüllen zu müssen. Im Unterschied zum Ausgangsfall bedürfen entsprechende Angehörige von Mitgliedstaaten in der Schweiz allerdings für die Eintragung nicht lediglich der Vorweisung ihrer Bescheinigung über die Eintragung bei der zuständigen Stelle ihres Herkunftsstaats, sondern des Bestehens einer Eignungsprüfung nach Art. 31 BGFA (Art. 30 Abs. 1 lit. a BGFA).

Autor: Michele Volpe
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