Zuständigkeitsfragen bei der Betreibung öffentlicher Parkraumgebühren

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Der Europäische Gerichtshof (hiernach EuGH) befasste sich in der Rechtssache C-307/19 mit einem Zuständigkeitskonflikt betreffend einen Antrag auf Betreibung einer öffentlichen Parkraumgebühr.

Konkret handelt es sich um ein Betreibungsverfahren zwischen Obala i lucice d.o.o. (hiernach Obala), einer Gesellschaft mit Sitz in Kroatien, welche öffentliche Parkplätze in Zadar (Koatien) verwaltet und NLB Leasing d.o.o. (hiernach NLB Leasing), einer Gesellschaft mit Sitz in Slowenien. Die Hauptforderung der Betreibung war eine Tagesgebühr für das Abstellen auf einem besagten öffentlichen Parkplatz. Diese nämliche Forderung war dadurch entstanden, dass die Bezahlung für einen Stundenparkschein ausblieb und gemäss dem (einschlägigen) allgemeinen Nutzungsreglement für öffentliche Parkplätze in solchen Konstellationen die Vermutung greift, wonach ein Vertrag über einen Tagesparkschein zustande gekommen ist. Infolgedessen leitete Obala das Zwangsvollstreckungsverfahren bei einem in Kroatien tätigen Notar ein, welcher im Anschluss einen Vollstreckungsbefehl erliess. NLB Leasing legte daraufhin vor dem Handelsgericht Pazin (Kroatien) Widerspruch ein. Dieses hob den Vollstreckungsbefehl auf, erklärte sich jedoch seinerseits für unzuständig und überwies die Rechtssache an das Handelsgericht Zadar (Kroatien). Dieses lehnte wiederum seine Zuständigkeit ab und rief – aufgrund des negativen Zuständigkeitskonflikts – das hohe Handelsgericht (Kroatien) an.

Das hohe Handelsgericht wollte u.a. wissen, ob die Verordnung Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) auf die Betreibung einer Tagesparkscheingebühr für einen Parkplatz auf öffentlichem Boden zur Anwendung gelange, wenn die Gebühr von einer Gesellschaft gefordert werde, die von einer Gebietskörperschaft mit der Verwaltung solcher Parkplätze beauftragt worden ist.

Der EuGH hat zwei Vorgehensweisen festgelegt, um zu ermitteln, ob eine Streitigkeit unter den Begriff «Zivil- und Handelssache» und damit in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.
Die erste dieser beiden Vorgehensweisen besteht darin, die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien sowie den Streitgegenstand zu determinieren. Ihr Zweck kann darin erblickt werden, dass ergründet werden kann, ob eine acta iure gestionis oder eine acta iure imperii vorliegt, weil der Begriff «Zivil- und Handelssachen» nur die Klagen umfasst, die sich nicht in der Ausübung hoheitlicher Befugnisse (iure gestionis) manifestieren (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 7. Mai 2020, in Rs. C-641/18, LG u.a./Rina SpA, Ente Registro Italiano Navale, und den entsprechenden Beitrag vom 9. März 2021, «Anwendbarkeit der EuGVVO auf Schiffsklassifikations- und Schiffszertifizierungstätigkeiten»).
Der Streitgegenstand ist in casu die Betreibung der Tagesparkscheingebühr, welche auf einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis beruht. Diese wird durch die allgemeinen Bedingungen des Parkvertrags geregelt, welche die Verpflichtung zur Zahlung entweder eines Stunden- oder eines Tagesparkscheins vorsehen. Daraus folgt, dass die Verpflichtung zur Bezahlung eines Tagesparkscheins – sofern der Kauf eines Stundenparkscheins ausbleibt – nicht etwa eine Sanktion für eine Verkehrsordnungswidrigkeit darstellt, sondern vielmehr eine privatrechtliche Verpflichtung ist.
Die zweite Vorgehensweise besteht darin, die Grundlage der Klage bzw. des Antrags sowie die Modalität ihrer Erhebung bzw. seiner Stellung zu prüfen. In Bezug auf die Modalität der Stellung des Antrags der Betreibung erwähnt der EuGH, dass Obala den Antrag auf Betreibung der Tagesgebühr nach den allgemeinen Rechtsvorschriften stellt und das Verfahren nach dem Zwangsvollstreckungsgesetz einleitet.
Der EuGH stellt daher fest, dass die Handlung von Obala weder aufgrund des Rechtsverhältnisses noch aufgrund der Grundlage und der Modalität der Antragstellung als eine acta iure imperii zu qualifizieren sei und deshalb der Antrag auf Betreibung der Tagesparkscheingebühr für einen Parkplatz auf öffentlichem Boden in den Anwendungsbereich der EuGVVO falle.

Des Weiteren wollte das hohe Handelsgericht wissen, ob unter den Begriff «Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen» i.S.v. Art. 24 Nr. 1 EuGVVO auch ein Antrag auf Betreibung einer Tagesparkscheingebühr für einen Parkplatz falle. Art. 24 Nr. 1 EuGVVO sieht für Verfahren, welche die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben eine ausschliessliche Zuständigkeit zugunsten der Gerichte des Mitgliedstaates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, vor. Der EuGH führt aus, dass Art. 24 Nr. 1 EuGVVO aufgrund seines Ausnahmecharakters eng ausgelegt werden müsse. Der Verfahrensgegenstand sei in casu die Betreibung einer Gebühr für das Parken auf einem öffentlichen Parkplatz und nicht die Nutzungsbedingungen der öffentlichen Verkehrsfläche. Entsprechend falle der Antrag der Betreibung nicht unter Art. 24 Nr. 1 EuGVVO.

Des Weiteren wollte das hohe Handelsgericht wissen, ob für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit in Sachen Betreibung einer Tagesparkplatzgebühr Art. 7 Nr. 1 EuGVVO anwendbar sei bzw. ob die Betreibung unter den Begriff «Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag» i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO falle. Der EuGH konstatiert, dass das Bestehen einer vertraglichen Verpflichtung – welche im Übrigen auch stillschweigend entstanden sein könne – für die Anwendung dieser Bestimmung unerlässlich sei.
Laut EuGH entstehe durch das Parkieren auf einem gekennzeichneten Parkplatz ein Rechtsverhältnis zwischen dem Benutzer und dem Verwalter des Parkplatzes, nach welchem sich der Benutzer zur Zahlung entweder eines Stunden- oder eines Tagesparkscheins verpflichte. Nach Ansicht des EuGH sei dieses Rechtsverhältnis als vertraglich einzustufen, weshalb der Antrag auf Betreibung einer Tagesparkscheingebühr auf einem behaupteten Verstoss gegen die vertraglichen Verpflichtungen beruhe. Dementsprechend falle der Antrag unter den Begriff «Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag».

Gemäss Art. 7 Nr. 1 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Anspruch aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO definiert den Erfüllungsort der Verpflichtung für Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen. Das hohe Handelsgericht wollte deshalb wissen, ob der Vertrag zwischen dem Benutzer und dem Verwalter des Parkplatzes als Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen qualifiziert werden könne. Der EuGH beschreibt eine Dienstleistung als die Erbringung einer bestimmten positiven Handlung gegen Entgelt. Nach seinem Dafürhalten könne in der von Obala vorgenommenen Verwaltung der öffentlichen Parkplätze eine positive Handlung erblickt werden. Dies deshalb, weil die Verwaltung der Einrichtung, Abgrenzung und Kennzeichnung der Parkplätze auf öffentlichen Verkehrsflächen sowie das Management verschiedener Arten des Einkassierens die Parkgebühren umfasse. Die Partei, die den Parkplatz benutze, müsse hingegen einen Stunden- oder Tagesparkschein bezahlen, welcher das Entgelt für eine positive Handlung darstelle. Entsprechend liege in casu ein Vertrag über die Erbringung einer Dienstleistung i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO vor.

Fazit

Die Rechtssache Obala/NLB Leasing (C-307/ 19) gab dem Gerichtshof Gelegenheit zu grundlegenden Überlegungen hinsichtlich Zuständigkeitsfragen bei der Betreibung öffentlicher Parkraumgebühren. Erstens hat der EuGH erneut den Begriff der Zivil- und Handelssache mit Blick auf den Unterschied zwischen acta iure imperri und acta iure gestionis konturiert. Des Weiteren stellte der EuGH fest, dass der Antrag auf Betreibung einer öffentlichen Parkgebühr nicht unter den Begriff «Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen» i.S.v. Art. 24 Nr. 1 EuGVVO fällt. Ferner ordnete der EuGH das Rechtsverhältnis zwischen dem Benutzer und dem Verwalter eines öffentlichen Parkplatzes als vertraglich und daher in den Anwendungsbereich von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ein. Ausserdem definiert der EuGH die Verwaltung eines öffentlichen Parkplatzes als eine positive Handlung, weshalb der Vertrag zwischen Benutzer und Verwaltung als Vertrag über die Einbringung einer Dienstleistung i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO einzustufen ist.

Diese Bedeutung des vorliegend interessierenden Verdikts ist nicht nur auf die EU begrenzt, sondern wird aufgrund der Parallelität zwischen EuGVVO und LugÜ auch für die Schweiz von tragender Bedeutung sein.
Es ist jedoch fraglich, auf welche Mitgliedstaaten diese Entscheidung tatsächlich übertragen werden kann; insbesondere mit Blick auf die Auslegung des Begriffs «Zivil- und Handelssache». Ein wesentliches Element der EuGH-Entscheidung zur Qualifikation der Handlungen von Obala als acta iure gestionis war die Tatsache, dass es sich bei der Verpflichtung zur Zahlung eines Tagesparkscheins um eine privatrechtliche Verpflichtung handelt und nicht etwa um eine Busse für die Nichtzahlung des Stundenparkscheins. Allerdings ist dieser Punkt in der Schweiz, wie auch in anderen europäischen Staaten, unterschiedlich geregelt. Beispielsweise in der Schweiz erhält der Benutzer eines öffentlichen Parkplatzes eine Ordnungsbusse, d.h. eine Sanktion, sofern er keinen (Stunden-)Parkschein löst.

Autorin: Elisa Castelnuovo 
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.