Bindungswirkung negativer Zuständigkeitsentscheide

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Ein Gericht ist im Rahmen der Anerkennung eines ausländischen Urteils nicht an einen früheren Entscheid eines staatlichen Schweizer Gerichts gebunden, mit dem dieses seine Unzuständigkeit zugunsten eines Schiedsgerichts feststellte. Zu diesem Ergebnis kommt das Bundesgericht in seinem Entscheid BGE 150 III 423 zur Frage der Bindungswirkung negativer Zuständigkeitsentscheide.

Die Beschwerdegegnerin ist eine Aktiengesellschaft nach slowenischem Recht mit Sitz in Slowenien, die im Jahr 2009 eine als «Distribution Agreement» betitelte Vereinbarung unterschrieb, welche eine Schiedsklausel für allfällige Streitigkeiten enthielt. Die slowenische Gesellschaft ging davon aus, diese Vereinbarung mit einer Aktiengesellschaft mit Sitz im Kanton Aargau geschlossen zu haben, während Letztere dies bestritt. Zwischen den beiden Gesellschaften kam es in der Folge zu einem vertraglichen Streit, der in einem Schiedsverfahren mündete.

Das vereinbarte Schiedsgericht erklärte sich in der Folge für unzuständig, weil die schweizerische Gesellschaft nicht Partei des Distribution Agreements gewesen sei. Daraufhin erhob die slowenische Gesellschaft beim Handelsgericht des Kantons Aargau Klage, um die behaupteten vertragsrechtlichen Ansprüche geltend zu machen. Das Handelsgericht erklärte sich dafür für unzuständig, woraufhin die Klage vor einem slowenischen Kreisgericht erhoben wurde. Dieses hiess die Klage gut. Im Zuge der Vollstreckung dieses Urteils ersuchte die slowenische Gesellschaft mithin das Bezirksgericht Zofingen um definitive Rechtsöffnung, die schliesslich gutgeheissen wurde. Die dagegen von der schweizerischen Gesellschaft erhobene Beschwerde wurde vom Obergericht abgewiesen, weshalb vorliegend das Bundesgericht angerufen wurde.

Gerügt wird dort unter anderem eine Verletzung von Art. 1 Abs. 2 lit. d LugÜ, nach dem die Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens ausgenommen ist. Vorgebracht wird dabei, die Vorinstanz habe das LugÜ zu Unrecht auf die inzidente Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des slowenischen Urteils angewendet. Die beschwerdeführende schweizerische Gesellschaft stützte sich im Rahmen ihrer Begründung unter anderem auf den früheren Aargauer Entscheid, in dem eine Zuständigkeit des aargauischen Handelsgerichts mit Verweisung auf die Schiedsvereinbarung verneint wurde. Das Bundesgericht hielt dazu fest, dass Art. 1 Abs. 2 lit. d LugÜ nicht verletzt sei. Hat ein vertragsstaatliches Gericht nämlich in der Sache selbst – wie vorliegend über die kaufvertragsrechtlichen Ansprüche – entschieden und geht es nun um die Anerkennung dieses Urteils, so greife der Ausschluss des LugÜ nicht. Im Gegenzug dazu wäre ein Ausschluss dann zu begründen, wenn es sich um ein Verfahren auf Feststellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Schiedsvertrages handeln würde.

Was die von der schweizerischen Gesellschaft gerügte Verletzung von Art. 34 Ziff. 3 LugÜ, also die Nichtanerkennung widersprüchlicher Entscheidungen zwischen denselben Parteien, betreffe, so führte das Bundesgericht aus, dass nach schweizerischem Recht grundsätzlich nur ein Sachurteil in Rechtskraft erwachsen kann, während dies für ein Prozessurteil bloss bezüglich der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Fall sein könne. In Bezug auf die Bindungswirkung eines negativen Zuständigkeitsentscheides, mit dem sich ein staatliches Gericht in der Schweiz zugunsten eines Schiedsgerichts für unzuständig erklärt, liegt gemäss bundesgerichtlicher Erwägung noch keine abschliessende Klärung vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sei ein vereinbartes Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz nicht an die Entscheidung eines staatlichen Gerichts gebunden. Diese Ansicht werde auch von der Lehre geteilt.

Im hier dargestellten Fall entscheidend ist allerdings die Frage, ob ein staatliches Gericht an einen negativen Zuständigkeitsentscheid eines vereinbarten Schiedsgerichts mit ausländischem Sitz oder an den nachgelagerten ebenfalls negativen Zuständigkeitsentscheid eines staatlichen Gerichts gebunden ist. Sofern der entsprechende Schiedsentscheid in der Schweiz anerkannt wird, bindet dessen negativer Zuständigkeitsentscheid nach der vorliegend besprochenen Rechtsprechung des Bundesgerichts die staatlichen Gerichte, zumal das Schiedsgericht grundsätzlich selbst über seine Zuständigkeit befindet. Demgegenüber nicht beachtlich ist der vom Handelsgericht Aargau getroffene Nichteintretensentscheid, da dieser keine materiellen Rechtswirkungen erzeugt und demnach keine Bindungswirkung gegenüber dem slowenischen Schiedsspruch entfaltet. Da sich das entsprechende Schiedsgericht für unzuständig erklärte und dieser Entscheid in der Schweiz anerkannt wurde, liegt kein dem ausländischen Schiedsspruch widersprechender Entscheid vor, sodass auch der Anerkennungsverweigerungsgrund nach Art. 34 Ziff. 2 LugÜ entfällt.

Fazit

In der Sache gehen die Meinungen auseinander, wenn es um die Rechtskraft negativer Zuständigkeitsentscheide geht. Die Lehre differenziert Entscheide dahingehend, ob sie von einem Schiedsgericht oder einem staatlichen Gericht gefällt wurden.  Als Folge davon gilt, dass ein negativer Zuständigkeitsentscheid eines Schiedsgerichts – anders als jener eines staatlichen Gerichts – bei Anerkennung in der Schweiz verbindlich ist und staatliche Gerichte daran hindert, die Zuständigkeitsfrage erneut zu prüfen.

Ein Teil der Lehrmeinungen stützt sich auf ein bundesgerichtliches obiter dictum aus dem Jahr 1994, wonach ein staatliches Gericht das Schiedsgericht dann nicht bindet, wenn es seine eigene Zuständigkeit verneint (vgl. BGE 120 II 155, 164 E. 3bb). Vereinzelte Stimmen vertreten hingegen den Standpunkt, dass die Zuständigkeit des Schiedsgerichts im Schiedsverfahren, gründend auf dem Grundsatz von Treu und Glauben, nicht mehr bestritten werden darf, wenn sich das staatliche Gericht in Gutheissung der Schiedseinrede für unzuständig erklärt hat. Eine einhellige Meinung besteht in der Lehre dahingehend, dass Unzuständigkeitsentscheide staatlicher Gerichte das Schiedsgericht nicht binden. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung beruht auf dem Gedanken der Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte.

Obwohl das Bundesgericht in Erwägung 6.4.2 offenlässt, ob ein negativer Zuständigkeitsentscheid eines staatlichen Gerichts auch andere Gerichte bindet, macht es klar, dass eine solche Bindung jedenfalls dann entfällt, wenn ein anerkannter Schiedsspruch im Widerspruch dazu steht. Damit widerspricht es der in der Lehre vertretenen Auffassung einer generellen Bindungswirkung.

Der vorliegend erörterte Bundesgerichtsentscheid veranschaulicht folglich die Komplexität, die Zuständigkeitsentscheide an der Schnittstelle zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit mit sich bringen.

Autorin: Laura Kesten
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.