Kognitionsbeschränkung auf Rechtsfragen bei Schiedsbeschwerden vor Bundesgericht

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Im Urteil BGer 4A_418/2019 setzte sich die zivilrechtliche Abteilung im Rahmen einer Schiedsbeschwerde gemäss Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG mit der Kognition im bundesgerichtlichen Verfahren auseinander. Das vorinstanzlich urteilende Schiedsgericht hatte sich – gestützt auf seine Auslegung der Schiedsklausel im Vertrag zwischen den Streitparteien – für unzuständig erklärt. Fraglich war folglich vor Bundesgericht insbesondere, inwieweit dieses das Auslegungsergebnis der Vorinstanz überhaupt einer Überprüfung unterziehen kann. Das Bundesgericht wich dabei nicht von seiner früheren Argumentationslinie – die in der Lehre kritisiert worden war (vgl. etwa Pfisterer, in Grolimund/Loacker/Schnyder, BSK IPRG , Art. 190 N 58 m.w.H.) – ab und festigte die restriktive Praxis, wonach zwischen Tat- und Rechtsfragen und somit insbesondere zwischen subjektiver und objektivierter Auslegung von Verträgen zu differenzieren ist.

Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2010 unterzeichneten die A. Group (in der Vereinbarung bezeichnet als «Constructor»), die C. Corporation (bezeichnet als «Company») und die staatliche Bank D. (bezeichnet als «Bank») eine als «Trilateral Agreement for Land Preparation and Construction of Residential Flats» benannte Vereinbarung, deren Gegenstand die Errichtung von 20'000 Wohneinheiten in der Islamischen Republik Iran bildete.

Darin verpflichtete sich die C. Corporation, eine Gesellschaft iranischen Rechts und Tochtergesellschaft einer durch das iranische Ministerium für Strassen und Stadtentwicklung kontrollierten Gesellschaft, das nötige Bauland zur Verfügung zu stellen und vorzubereiten sowie den vereinbarten Preis für die Wohneinheiten zu bezahlen. Der «Constructor» verpflichtete sich zur vorgabegemässen Errichtung von Wohnungen und die Bank D., ebenfalls eine Gesellschaft iranischen Rechts, verpflichtete sich zur Vergabe von Krediten an den «Constructor». Da Art. 3 Abs. 14 der Vereinbarung den automatischen Übergang sämtlicher Verpflichtungen des «Constructor» auf eine von ihm zu gründende iranische Gesellschaft vorsah, wurde am 12.06.2010 die B. Construction Corporation gegründet. 

Art. 4 der Vereinbarung enthielt die streitgegenständliche Schiedsklausel, deren Abs. 2 wie folgt lautete: «In the event that the contracting party in whose territory an investment is made and the investor(s) are unable to agree (...), the dispute can upon the request of the investor, be referred to: a) The competent courts of the contracting party in whose territory the investment is made. Or with due regard of their own laws and regulation to: b) An ad-hoc arbitral tribunal of three members (...)». Darüber hinaus wurden in Abs. 5 Streitigkeiten, die an ein Schiedsgericht getragen wurden, der staatlichen Gerichtsbarkeit für entzogen und in Abs. 6 Entscheidungen des Schiedsgerichts für endgültig und bindend erklärt.

Die A. A.S., eine im Bausektor tätige Gesellschaft türkischen Rechts, und die neu gegründete B. Construction Corporation leiteten im Jahr 2017 in Genf ein Schiedsverfahren gegen die C. Corporation sowie die Bank D. ein und beantragten deren Verurteilung zur Zahlung von USD 150 Mio., zzgl. Zins. Das Schiedsgericht erklärte sich mit Schiedsspruch vom 02.07.2019 für unzuständig. Dagegen führten die Klägerinnen Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht.

Da das Schiedsgericht seinen Sitz in Genf hat, während die Parteien im massgebenden Zeitpunkt ihren Sitz ausserhalb der Schweiz und die Geltung des 12. Kapitels des IPRG nicht ausdrücklich ausgeschlossen hatten, gelangen die Bestimmungen dieses Kapitels zur Anwendung (Art. 176 Abs. 1 und 2 IPRG); der zuständigkeitsverneinende Schiedsentscheid kann mittels Beschwerde nach Art. 190 Abs. 2 IPRG angefochten werden. 

Dem Einwand der Beschwerdegegnerinnen und vormaligen Beklagten, gemäss Abs. 5 und 6 der Schiedsklausel sei wegen vollständigen Ausschlusses der Anfechtbarkeit von Schiedsentscheiden (Art. 192 Abs. 1 IPRG) auf Nichteintreten zu schliessen, hält das Bundesgericht entgegen, dass zunächst die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung in Frage stehe. 

In Verweisung auf seine eigene Rechtsprechung hält es sodann fest, dass die Schiedsbeschwerde gemäss Art. 77 Abs. 1 und 2 BGG grundsätzlich rein kassatorischer Natur sei, wobei hinsichtlich des Streits über Zuständigkeit oder Zusammensetzung des Schiedsgerichts davon insoweit eine Ausnahme bestehe, als das Bundesgericht selbst die (Un-)Zuständigkeit des Schiedsgerichts feststellen bzw. über die Ablehnung des betreffenden Schiedsrichters befinden könne. Gerügt werden könnten einzig die in Art. 190 Abs. 2 IPRG abschliessend aufgezählten Anfechtungsgründe, wobei eine – mit Art. 106 Abs. 2 BGG korrespondierende – Rügepflicht bestehe (Art. 77 Abs. 3 BGG). 

Für die Frage der Gültigkeit der Schiedsvereinbarung gehen Bundes- und Schiedsgericht gestützt auf Art. 178 Abs. 2 IPRG von der Anwendbarkeit schweizerischen Rechts aus, wonach in erster Linie der übereinstimmende tatsächliche Wille der Parteien massgebend sei. Das Schiedsgericht war im Rahmen der subjektiven Auslegung auf der Grundlage des Wortlauts der Schiedsklausel und der Vertragsverhandlungsgeschichte zum Ergebnis gelangt, dass kein tatsächlicher gemeinsamer Wille der Parteien hinsichtlich der Zuständigkeit eines internationalen Schiedsgerichts für Streitigkeiten der Parteien aus dem Trilateral Agreement bestände: Der Wortlaut beziehe sich weder auf die Vertragsparteien noch -streitigkeiten und stehe in keinem Zusammenhang zum Trilateral Agreement, sondern weise vielmehr hohe Ähnlichkeiten mit üblichen Formulierungen in bilateralen Investitionsschutzabkommen auf. Zur Verhandlungsgeschichte hatte es mit Blick auf die fundamental differierenden Positionen der Parteien festgestellt, dass keine Einigung hinsichtlich einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit habe erzielt werden können, denn während für die Beschwerdegegnerinnen als öffentliche iranische Unternehmen nebst einer Zuständigkeit iranischer Gerichte lediglich ein internes Schiedsverfahren in Betracht gekommen sei, sei auf Seiten der Beschwerdeführerinnen versucht worden, die Zuständigkeit eines internationalen Schiedsgerichts mit Sitz ausserhalb Irans oder der Türkei zu vereinbaren. Die nunmehr in das Trilateral Agreement integrierte Schiedsklausel sei letztlich von der C. Corporation vorgeschlagen und von der türkischen Seite nur wegen der Konfrontation mit einem Dealbreaker akzeptiert worden, wobei sich letztere bewusst gewesen sei, dass sich die C. Corporation damit nicht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit unterstellen wollte.

In neuerlicher Bestätigung seiner Rechtsprechung führt das Bundesgericht nunmehr aus, dass es die Zuständigkeitsrüge nach Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG in rechtlicher Hinsicht – einschliesslich der für die Zuständigkeit relevanten materiellen Vorfragen – frei prüfe. Hingegen sei es auch im Rahmen der Schiedsbeschwerde an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG), wobei eine Berichtigung oder Ergänzung der Sachverhaltsfeststellung (Art. 105 Abs. 2 BGG) im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit zufolge Art. 77 Abs. 2 BGG gänzlich entfalle. Es überprüfe demnach die tatsächlichen Feststellungen des Schiedsentscheids auch im Rahmen der Zuständigkeitsrüge allein, wenn – woran es in casu mangelte – zulässige Rügen gegenüber diesen Sachverhaltsfeststellungen i.S.v. Art. 190 Abs. 2 IPRG vorgebracht worden oder ausnahmsweise Noven (Art. 99 BGG) zu berücksichtigen seien.

Demzufolge erachtet sich das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen im Rahmen der subjektiven Auslegung durch das Schiedsgericht gebunden und bezeichnet dessen Ausführungen und Ergebnis, wonach es zwischen den Parteien zu keinem Konsens über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit für die Streitigkeiten aus dem Trilateral Agreement gekommen sei, als durchaus nachvollziehbar und zutreffend. Es bestehe deshalb kein Raum mehr, in einem zweiten Schritt eine objektivierte Auslegung nach dem Vertrauensprinzip vorzunehmen und infolge Erlangung eines Auslegungsergebnisses erübrige sich auch die Anwendung der Unklarheitsregel, womit das Schiedsgericht i.E. seine Zuständigkeit zu Recht verneint habe.

Fazit

Mag die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur neuerlich bestätigten, konsequenten Beschränkung seiner Kognition im Rahmen von Schiedsbeschwerden auf Rechtsfragen auch streng sein und möglicherweise in Einzelfällen zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, ist sie mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in Art. 105 Abs. 1 und Art. 77 Abs. 2 BGG doch als folgerichtig zu erachten. Sie fällt – wie der vorliegende Fall zeigt – insbesondere bei der Vertragsauslegung ins Gewicht. Den Parteien kann angesichts der restriktiven Rechtsprechungslinie nur dazu geraten werden, bekannte rechtserhebliche Tatsachen im schiedsgerichtlichen Verfahren nicht aus prozesstaktischen Gründen zurückzuhalten.

Autorin: Selina Valeria Niggli
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.