Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei Alkoholabhängigkeit

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Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Entscheid (4A_221/2025) eine beachtliche Wegweisung für die Praxis der Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit getätigt. Konkret ging es um die Frage, wie die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers zu beurteilen ist, wenn der Arbeitnehmer unter Alkoholeinfluss einen Unfall verursacht und danach arbeitsunfähig wird. 

Im spezifischen Sachverhalt verursachte ein Servicetechniker unter erheblichem (1,9 Promille) Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall, woraufhin ihm der Fahrausweis entzogen wurde und er eine stationäre Suchtbehandlung antreten musste. Der Arbeitgeber argumentierte, dass gerade der Entzug des Führerausweises – infolge des Fahrens im betrunkenen Zustand – der zentrale Grund für die Arbeitsverhinderung sei und dies den Anspruch auf Lohnfortzahlung ausschliesse. Dieser Sichtweise folgte das Bundesgericht jedoch nicht und verweist u.a. auf eine Besonderheit des Verlaufs von Suchtkrankheiten. Dabei hält das Bundesgericht fest, dass die Beurteilung eines allfälligen Verschuldens stets von der individuellen Ausprägung sowie vom konkreten Verlauf der Krankheit im jeweiligen Einzelfall abhängig ist. 

Nach Art. 324a Abs. 1 OR ist für die Lohnfortzahlungspflicht entscheidend, ob die Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitnehmer zurechenbar ist. Das Bundesgericht stellt klar: Im vorliegenden Fall bestand die Alkoholsucht bereits vor dem Unfall und war so weit fortgeschritten, dass sie als Krankheit zu bewerten ist. Entsprechend fehle es am Verschulden im Sinne von Art. 324a OR. Die Unterscheidung zu einem allgemeinen Fall – etwa einer nicht alkoholkranken Person, die nach Alkoholkonsum einen Unfall verursacht und der damit der Vorwurf gemacht werden kann – ist damit von zentraler Bedeutung. 

Das Urteil unterstreicht ferner, dass mehrere Ursachen für eine Arbeitsverhinderung, wie Unfallfolgen, Krankheiten und stationäre Behandlungen, jeweils einzeln betrachtet werden müssen. Im entschiedenen Fall lag die eigentliche Ursache für die Arbeitsverhinderung in der bereits bestehenden, fortgeschrittenen Krankheit samt anschliessender medizinischer Einweisung. Der Entzug des Führerausweises trat lediglich als Folgeerscheinung der Alkoholerkrankung dazu und änderte nichts an der bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit. 

Fazit

Das Bundesgericht hat ein Urteil mit Signalwirkung gefällt. Dies umso mehr, als es leider in Arbeitsverhältnissen nicht selten zu Problemfällen kommt, in denen eine Suchterkrankung des Arbeitnehmers zu Problemfällen oder zur Arbeitsunfähigkeit führt. Die Handhabung der Lohnfortzahlungspflicht bei Suchterkrankungen wurde jedenfalls entscheidend geschärft. Die Entscheidung verdeutlicht namentlich, wie wichtig die differenzierte Beurteilung individueller Krankheitsverläufe ist.  

Gleichzeitig wirft das Urteil aber auch Fragen auf: Wie weit geht die Schutzpflicht des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern mit Suchterkrankungen? Welche Möglichkeiten bestehen für Arbeitgeber, präventiv auf problematische Entwicklungen hinzuweisen oder medizinische Checks zu fordern, um die eigene Zahlungspflicht zu minimieren? Hier bleibt abzuwarten, wie Arbeitsgerichte, Gesetzgeber und Lehre auf diese neue Praxis reagieren und wo künftig die juristischen Grenzen gezogen werden. 

Insgesamt zeigt das Urteil, wie vielschichtig und praxisrelevant scheinbar klare Regelungen im Schweizer Arbeitsrecht sind – und wie relevant die vertiefte Einzelfallbeurteilung ist, um im «grauen» Bereich zwischen Krankheit und Verschulden zu angemessen Ergebnissen zu kommen. Übertriebene Arbeitgeberfreundlichkeit wird man dem Bundesgericht jedenfalls (einmal mehr) nicht vorhalten können.

Autorin: Egzona Nikaj
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.