Die Datenschutz-Grundverordnung (EU) 2016/679 (DSGVO) verfolgt das Ziel, umfassenden Schutz für natürliche Personen bei der Verarbeitung ihrer persönlichen Daten zu gewährleisten. Um dies zu erreichen, verpflichtet die DSGVO die Verantwortlichen der Datenverarbeitung sicherzustellen, dass jede Datenverarbeitung sowohl dem Grundsatz der Rechtmässigkeit nach Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO als auch dem Grundsatz der Datenminimierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO entspricht.
Der Grundsatz der Rechtmässigkeit wird in Art. 6 Abs. 1 DSGVO näher umschrieben. Diese Bestimmung enthält eine abschliessende Liste von Bedingungen, unter denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmässig gilt. Laut gefestigter Rechtsprechung des EuGH, muss die Rechtmässigkeit einer Datenverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO stets im Zusammenhang mit dem Datenminimierungsprinzip gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO beurteilt werden. Der Grundsatz der Datenminimierung fordert, dass bei jeder Datenverarbeitung zu prüfen ist, ob die verarbeiteten Daten einem in Art. 6 Abs. 1 DSGVO genannten Verarbeitungszweck dienen und ob die Datenverarbeitung sich sowohl inhaltlich als auch quantitativ auf das notwendige Minimum beschränkt, um den beabsichtigten Zweck zu erreichen.
In einem Rechtsstreit zwischen einem LGBTQ-Verband und einem französischen Eisenbahnunternehmen standen diese beiden DSGVO-Grundsätze im Fokus. Konkret stellte sich die Frage, ob das Eisenbahnunternehmen, welches seine Kunden beim Onlinekauf von Fahrkarten dazu verpflichtet, ihre Anrede durch die Auswahl zwischen «Herr» oder «Frau» anzugeben, gegen die Grundsätze der Datenverarbeitung gemäss DSVGO verstosse. Der LGBTQ-Verband argumentierte, die Angabe sei weder erforderlich für die Vertragserfüllung nach Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO noch sei sie notwendig, um die berechtigten Interessen des Eisenbahnunternehmens gemäss Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO zu wahren. Vielmehr verfolge die Verarbeitung dieser Angabe keinen erlaubten Verarbeitungszweck und widerspreche zugleich dem Grundsatz der Datenminimierung.
Nachdem der LGBTQ-Verband mit dieser Argumentation auf nationaler Ebene nicht durchdringen konnte, wurde der EuGH auf Vorlage des Conseil d'État um eine Vorabentscheidung gebeten.
Der zuständige Generalanwalt Szpunar kam in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache C-394/23 am 11. Juli 2024 dabei zum Ergebnis, dass eine Datenverarbeitung dann rechtmässig ist, wenn sie für die Vertragserfüllung erforderlich sei. Laut Rechtsprechung des EuGH sei dies der Fall, wenn die Datenverarbeitung objektiv notwendig ist, um den Hauptzweck des Vertrages zu erfüllen. Zweifellos liegt der Hauptgegenstand der vorliegenden Beförderungsverträge darin, dem Kunden die Fahrkarte bereitzustellen und anschliessend die tatsächliche Beförderung mit dem Transportmittel durchzuführen. Ohne eine Kommunikation zwischen dem Kunden und dem Eisenbahnunternehmen ist die Übermittlung des Fahrscheines und damit die Vertragserfüllung nicht möglich. Die Bekanntgabe der Anrede ist dabei jedoch nicht notwendig, um eine personalisierte Kommunikation mit dem Kunden zu führen. Allgemeine Formulierungen wie «Guten Tag» sind vielmehr in der Regel, wenn es etwa nicht um die Reservation von Frauenabteilen udgl. geht, ausreichend.
Auch eine Berufung auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO schloss Generalanwalt Szpunar aus, weil die Informationspflicht i.S.d. Art. 13 Abs. 1 lit. d DSGVO nicht erfüllt worden sei.
Fazit
Der Generalanwalt empfiehlt dem EuGH, die Vorlagefragen des Conseil d'État wie folgt zu beantworten:
Die Verarbeitung von Anredeangaben der Kunden beim Ticketkauf ist für die Erfüllung eines Beförderungsvertrages grundsätzlich nicht erforderlich und daher ist ihr zwangsweises Abfragen nicht mit Art. 6 Abs. 1 lit. b i.V.m Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO vereinbar. Darüber hinaus ist diese Datenverarbeitung für ein Transportunternehmen nicht zur Wahrung seiner berechtigten Interessen notwendig, sofern das Unternehmen den betroffenen Nutzern das verfolgte berechtigte Interesse zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht mitgeteilt hat. Folglich steht die Datenverarbeitung auch nicht im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 lit. f i.V.m Art. 5 Abs. 1 lit.c DSGVO.
Wie im Schrifttum zu Recht betont wird, ist die Verbandsforderung, eine dritte Anredeoption bei Ticketbuchungen anzubieten, abzulehnen. Die Einbeziehung eines dritten Geschlechtes ist aus datenschutzrechtlicher Perspektive irrelevant.(Gerhold, EuZW 2024, S. 817 f.)
Die endgültige Entscheidung des EuGH kann mit Spannung erwartet werden.
Autorin: Elise Giovannini
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.