Mittlerweile erlauben die meisten EU-Mitgliedstaaten die Änderung des Geschlechtes und des Vornamens im Personenstandsregister. Allerdings ist das Personenstandrecht nicht durch das Unionsrecht geregelt. Demzufolge fällt die Regelung über die Voraussetzungen und das Verfahren zur Namens- und Geschlechtsänderung, unter Berücksichtigung des Unionsrechts, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Dies birgt die Möglichkeit unterschiedlicher Handhabungen und damit verbunden das Problem für die Betroffenen, dass eine im Staat A anerkannte Änderung im Staat B nicht nachvollzogen wir.
In einem von einem Bukarester Gericht eingereichten Vorabentscheidungsersuchen befasste sich der EuGH im Urteil C-4/23 vom 4. Oktober 2024 mit der Frage, ob ein Mitgliedstaat das Unionsrecht verletzt, wenn er sich weigert, eine in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig vorgenommene Geschlechts- und Vornamensänderung anzuerkennen.
Hintergrund des Verfahrens bildet der Fall eines rumänischen Unionsbürgers, der biologisch als Frau in Rumänien geboren wurde und daher mit weiblichem Vornamen und Geschlecht in seiner Geburtsurkunde eingetragen war. Im Jahr 2008 zog er nach England und erwarb kraft Einbürgerung neben der rumänischen auch die britische Staatsangehörigkeit. Im Jahr 2017 änderte der Betroffene im britischen Deede-Poll-Verfahren rechtmässig seinen Vornamen und seine Anrede von weiblich zu männlich. Zusätzlich wurde ihm im Jahre 2020 von den britischen Behörden eine Geschlechtsidentiätsbescheinigung ausgestellt, welche seine männliche Identität rechtlich anerkannte.
2021 beantragte der Betroffene beim zuständigen rumänischen Standesamt die Ausstellung einer neuen Geburtsurkunde mit den aktualisierten Personenangaben. Die rumänischen Behörden lehnten den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass hierfür nach rumänischem Recht ein rechtskräftiges Gerichtsurteil notwendig sei. Der Betroffene sah sich der Gefahr ausgesetzt, dass das rumänische Gericht seine Geschlechtsänderung nicht genehmigen würde, sodass er nach rumänischem Recht weiterhin rechtlich als Frau gelte.
Der EuGH schafft mit seiner Vorabentscheidung C-4/23 nunmehr Klarheit, indem er feststellt dass die Ablehnung einer solchen Anerkennung durch einen anderen Mitgliedstaateine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach Art. 21 AEUV darstellt. Nach dieser Bestimmung geniesst jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Unterschiedliche Angaben zu Namen oder Geschlecht derselben Person in verschiedenen Mitgliedstaaten führen zu Schwierigkeiten beim Identitätsnachweis. Ein betroffener Unionsbürger ist dadurch der ständigen Gefahr von Zweifeln an seiner Identität und der Echtheit seiner Ausweise ausgesetzt, was wiederum die Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV nachteilig betrifft.
Art. 21 AEUV gilt zwar nicht absolut und kann durch nationales Recht eingeschränkt werden. Allerdings müssen solche Beschränkungen auf objektiven Gründen beruhen und verhältnismässig sein. Vorliegend lieferte Rumänien keine Informationen über den Zweck der nationalen Reglung. Laut gefestigter Rechtsprechung des EuGH gilt eine nationale Bestimmung grundsätzlich als unionsrechtswidrig, wenn sie Transgender-Personen aufgrund mangelnder Anerkennung ihrer geänderten Geschlechtsidentität, daran hindert einen unionsrechtlich geschützten Anspruch geltend zu machen. Der EUGH gelangt in der vorliegenden Entscheidung zum Schluss, dass die rumänische Regelung mit Blick auf Art. 21 AEUV unionswidrig ist
Hervorzuheben ist der zeitliche Aspekt des Falls, gerade in Verbindung mit dem Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der EU. Zwar hat der Betroffene seinen Antrag auf Anerkennung seiner neuen Identität erst nach dem Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der EU am 1. Februar 2020 gestellt. Doch erfolgte die Namensänderung vor dem Austritt des Vereinigten Königsreichs, und die Geschlechtsänderung wurde in der Übergangszeit (vom 1. Februar 2020 bis 31. Dezember 2021) gutgeheissen. Während dieser Übergangszeit galt, das Vereinigte Königsreich gemäss Art. 127 Abs. 6 des Austrittsabkommens weiterhin als Mitgliedstaat, so dass die nachträgliche Antragsstellung gemäss dem EuGH nichts am Ergebnis änderte.
Fazit
Mit dem Entscheid etabliert der EuGH eine einheitliche Praxis hinsichtlich Identitätsänderungen innerhalb der EU. Konkret ergibt sich im Ergebnis eine Pflicht der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig erworbene Namens- und Geschlechtsänderung anzuerkennen.
Mit Blick auf die Rechtslage in der Schweiz ist festzustellen, dass es seit dem 1. Januar 2022, mit der neu in Kraft getretenen Bestimmung des Art. 30b ZGB, möglich ist, das Geschlecht sowie den Vornamen im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung gegenüber dem Zivilstandsbeamten, ändern zu lassen. Mit dieser Revision entfällt die Notwendigkeit, ein gerichtliches Verfahren zur Änderung der Geschlechtsidentität bzw. des Vornamens durchzuführen.
Ob eine im Ausland vorgenommene Geschlechts- und Namensänderung in der Schweiz anerkannt wird, richtet sich nach Art. 40a IPRG sinngemäss nach den Bestimmungen über den Namen gemäss Art. 37–40 IPRG. Demnach wird eine im Ausland erfolgte Namens- und Geschlechtsänderung dann in der Schweiz anerkannt, wenn sie im Wohnsitz- oder Heimatstaat des Gesuchstellers gültig ist.
Allerdings sind die hiesigen Behörden – unter technischem Verweis auf die schweizerischen Grundsätze er Registerführung – alles andere als anerkennungsfreundlich. Dies zeigte der bundesgerichtliche Entscheid vom 8. Juni 2023 (BGE 150 III 34): Auslöser für ihn war der Fall eines in Deutschland wohnhaften Schweizers, der in Deutschland rechtmässig nach deutschem Recht die Streichung seines Geschlechtseintrag erwirken konnte. Infolgedessen ersuchte er um Anerkennung dieser Streichung im schweizerischen Personenstandsregister. Allerdings vergeblich: Das BGer stellte fest, dass die Binarität in der schweizerischen Gesellschaft immer noch stark verankert sei. Deshalb sei es auch nicht möglich, den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister «leer» zu lassen.
Ein solches – anerkennungsfeindliches – Ergebnis ist schon vor dem Erlass des genannten bundesgerichtlichen Entscheids in der Literatur erheblich kritisiert worden: Lesen Sie dazu den Beitrag von Loacker/Capaul, FamPra 2021, 763 ff.
Autorin: Elise Giovannini
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.