Auswirkungen der «Ehe für alle» im internationalen und nationalen Kontext

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In der Volksabstimmung vom 26. September 2021 wurde die Initiative «Ehe für alle» von einer klaren Mehrheit der Stimmberechtigten und von allen Kantonen angenommen. Der Grossteil der beschlossenen Vorlage tritt ab dem 1. Juli 2022 in Kraft. Im Kern schafft die Vorlage die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Bereits bestehende eingetragene Partnerschaften können zwar weitergeführt werden, jedoch ist deren Neubegründung nicht mehr möglich. Ferner wird Paaren die Möglichkeit eingeräumt, ihre eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umzuwandeln. 
Aufgrund der grossen Anzahl an Paaren in einer internationalen Konstellation stellen sich auch Fragen des internationalen Privatrechts. Es drängt sich somit eine Anpassung der entsprechenden IPRG-Bestimmungen auf, um den Auswirkungen der schweizerischen Rechtsinstitute im Ausland sowie der Auswirkung der Anerkennung ausländischer Rechtsinstitute in der Schweiz Rechnung zu tragen. Vorweg ist zu bemerken, dass sich im Zuge der Revision des materiellen Schweizer Rechts keine weitreichenden Änderungen mit Blick auf das IPRG ergeben. Einerseits gelten bereits de lege lata grösstenteils die gleichen Bestimmungen für die Ehe und die eingetragene Partnerschaft. Andererseits betrifft die Revision primär das materielle Recht, welches bei einem Verweis des internationalen Privatrechts Anwendung findet.

Die Öffnung der Ehe für alle Paare im schweizerischen Recht führt somit automatisch – d.h. ohne Änderung der entsprechenden IPRG-Bestimmungen und ohne Notwendigkeit eines expliziten Hinweises – zur Anwendung der Bestimmungen des IPRG zum Eherecht auch auf gleichgeschlechtliche Paare. Hierbei gilt es aber zu bedenken, dass viele Länder ausserhalb Europas die gleichgeschlechtliche Ehe nicht kennen und daher die zur eingetragenen Partnerschaft entwickelten Lösungen des Art. 65 b-d IPRG zur Vermeidung von Lücken ins Eherecht übernommen werden müssen. An der Unterscheidung des IPRG zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft wird aber trotz Annahme der Initiative weiterhin festgehalten. Dies aufgrund der Tatsache, dass in der Schweiz weiterhin eingetragene Partnerschaften weitergeführt (wenn auch nicht mehr neu begründet) werden können. Zudem sehen viele ausländische Rechtsordnungen neben dem Institut der Ehe noch andere Lebensgemeinschaften mit eheähnlicher Wirkung vor.

Im Kapitel der Wirkungen der Ehe im Allgemeinen sowie bei Scheidung oder (Ehe-)Trennung ergeben sich keine nennenswerten Änderungen im Bereich des IPRG; in beiden Gebieten kann es zu einer Verweisung auf das schweizerische (materielle) Recht kommen, woraus sich – wie bereits erwähnt – ein Grossteil der Änderungen ergeben.

Konkrete Auswirkungen hat die Annahme der Initiative auf die Anerkennung von im Ausland geschlossenen Ehen: Eine im Ausland geschlossene Ehe zwischen einem gleichgeschlechtlichen Paar wird inskünftig in der Schweiz als – mit dem schweizerischen Ordre public vereinbare – Ehe anerkannt. Die Bestimmung in Art. 45 Abs. 3 IPRG, welche eine Anerkennung einer im Ausland gültig geschlossenen Ehe zwischen Personen des gleichen Geschlechts als eingetragene Partnerschaft vorsieht, wird insofern obsolet.

Eine hervorzuhebende Änderung – wenn auch wiederum auf der Ebene des materiellen Rechts – ergibt sich im Bereich des Ehegüterrechts. Wo die Kollisionsnormen des Art. 52 ff. IPRG auf das schweizerische Recht verweisen, gilt bisher für gleichgeschlechtliche Paare, die im Ausland geheiratet haben, Art. 18 des Partnerschaftsgesetzes und damit Gütertrennung. De lege ferenda gelangt automatisch und rückwirkend der für die Ehe geltende ordentliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung zur Anwendung.

Anlass zu angeregteren Diskussionen als die Änderungen des IPRG gab im Rahmen des Abstimmungskampfs namentlich der Zugang von gleichgeschlechtlichen Paaren zur gemeinsamen Adoption und von Frauenpaaren zur Samenspende. Die Öffnung der Adoption und der Samenspende ergibt sich aus deren Anknüpfung am Zivilstand «Ehe» (Art. 264a ZGB bzw. Art. 3 Abs. 3 FMedG). 

Befürworter der Initiative stellten sich auf den Standpunkt, dass die Initiative einen besseren Schutz für Familien und deren Kinder biete. Durch den Zugang zu Samenbanken in der Schweiz würden beide Frauen originäre Elternschaft erlangen und die Kinder hätten von Geburt an zwei Elternteile. Aufgrund der in der Realität zunehmenden Vielfalt an Familienmodellen (sog. Regenbogenfamilien) sei die Verwirklichung des Kinderwunsches auch für gleichgeschlechtliche Paare zeitgemäss. Unabhängig davon, ob ein Kind adoptiert oder durch künstliche Befruchtung gezeugt wurde, entscheidend seien feste und liebevolle Bezugspersonen unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung der Eltern. Damit stehe die «Ehe für alle» sogar ganz im Sinne des Kindeswohls.

Kritik wird hauptsächlich in Bezug auf das Kindeswohl geäussert. Als zentral hervorgehoben wird der Einfluss von Mutter und Vater für die kindliche Entwicklung. So komme es bei gleichgeschlechtlichen Eltern immer zu einem grundlegenden Beziehungsdefizit. Das Kindeswohl sei am besten gewahrt, wenn das Kind bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen und diese in einer verbindlichen, ehelichen Beziehung mit geringem Konfliktpotential miteinander leben würden. Schliesslich sei absehbar, dass sich durch die Gesetzesvorlage zukünftig auch weitere Gruppen auf ihren unerfüllten Kinderwunsch berufen werden.

Beim während der Abstimmungsdebatte vielfach zitierten Begriff des «Kindeswohls» handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Nach der schweizerischen Rechtspraxis umfasst das Kindeswohl neben der Förderung der geistigen, körperlichen und seelischen Entwicklung auch ein stabiles und kontinuierliches Umfeld sowie eine positive Beziehung zu den Eltern und die Achtung seines Selbstbestimmungsrechts. Das Kindeswohl dient als Leitlinie für die Ausgestaltung von Rechten und Pflichten in der Eltern-Kind-Beziehung. Das Kindeswohl muss stets im Einzelfall mit Bezug auf die konkrete Situation ermittelt werden; eine allgemein gültige Beschreibung ist nicht möglich (vgl. auch Büchler/Clausen, FamPra.ch 2014, S. 231, 237).

Oben beschriebene Argumentationslinien, welche sich allesamt kategorisch des Kindeswohls als Argument für oder gegen die «Ehe für alle» bedienen, verkennen damit die Komplexität und die stets erforderliche Einzelfallbetrachtung. 
Im Bereich der Fortpflanzungsmedizin verboten bleibt weiterhin die anonyme Samenspende, die Eizellenspende und die Leihmutterschaft. Gemäss der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats sei eine umfassende Diskussion über eine Revision des Abstammungsrechts erforderlich. Diese werde in einem späteren Zeitpunkt und getrennt von der Vorlage «Ehe für alle» durchgeführt. 

Fazit

Der schweizerische Gesetzgeber bzw. das schweizerische Stimmvolk macht mit der Annahme der «Ehe für alle» einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichstellung aller Paare. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Garantien der Rechtsgleichheit, des Diskriminierungsverbots und des Rechts auf Ehe erscheint die «Ehe für alle» begrüssenswert, wenn auch – angesichts des längst in Europa herrschenden Standards – längst überfällig. Ob dieselbe Argumentation auch für eine umfassende Revision des Abstammungsrechts zu überzeugen vermag, kann an dieser Stelle offenbleiben. Angesichts der involvierten und stets hochrangig zu gewichtenden Kindesinteressen muss zumindest eine vertiefte Auseinandersetzung erfolgen.

Autorin: Sarah Meyer
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.